Mitzeichner für Kleine Anfrage gesucht

Eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung bedarf der Unterzeichnung von mindestens fünf Prozent der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Aktuell entspricht das einer Zahl von 37 Abgeordneten. Es ist natürlich nicht einfach, als Fraktionsloser so viele Unterschriften einzusammeln, aber es gibt traditionell Themen, die im Bundestag ohne Fraktionszwang behandelt werden und das sind die grundsätzlichen ethischen Fragestellungen, etwa im Bereich Sterbehilfe oder auch – so hoffe ich zumindest – in diesem Fall, in dem es um das Thema der “Hirntod”-Feststellung geht, die Grundlage für Organtransplantationen ist.

Machen Sie sich selbst ein Bild von dem Entwurf meiner Kleiner Anfrage und fordern Sie gerne einen Bundestagsabgeordneten Ihrer Wahl auf, diese Kleine Anfrage über mein Bundestagsbüro mitzuzeichnen!

„Hirntod“-Feststellung in Deutschland

Vorbemerkungen

Gemäß § 3 des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Gewebe (Transplantationsgesetz – TPG) muss vor einer Organentnahme nicht nur der „Hirntod“, sondern auch der Tod des Spenders festgestellt werden. Für die Prüfung, ob ein Patient „hirntot“ ist, wird die vom Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats beschlossene sowie vom Bundesministerium für Gesundheit am 08.07.2022 genehmigte Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, herangezogen. Im Vorwort der Richtlinie (https://www.aerzteblatt.de/archiv/226947) wird ausgeführt: „Die Grundlagen der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls sind seit rund 40 Jahren unverändert. Mit der aktuell Fünften Fortschreibung wird im Ergebnis wiederholter strukturierter Befragungen der Fachkreise bestätigt, dass die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls obligat die Erfüllung der Voraussetzungen, die Feststellung der Bewusstlosigkeit (Koma), der Hirnstamm-Areflexie und des Atemstillstandes (Apnoe) sowie deren Irreversibilität durch die klinischen Verlaufsuntersuchungen nach den vorgeschriebenen Wartezeiten und/oder durch ergänzende Untersuchungen erfordert und dass der irreversible Hirnfunktionsausfall und somit der Tod nach den Maßgaben der Richtlinie sicher und unzweifelhaft diagnostiziert werden kann.“ (Seite 1 der Richtlinie).

Die Prüfung der Feststellung des „Hirntodes“ erfolgt laut der Richtlinie in drei Schritten: Vorliegen einer schweren Hirnschädigung, für die andere Ursachen des Symptombildes ausgeschlossen werden können, Durchführung klinischer Untersuchung zur Feststellung bestimmter Ausfallsymptome (Bewusstlosigkeit, Ausfall von Hirnstammreflexen, Atemstillstand) und der „Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome“.

Im Rahmen dieser klinischen Untersuchungen wird u.a. untersucht, ob der Patient zur selbstständigen Atmung fähig ist. Hierzu wird die künstliche Beatmung der betroffenen Patienten unterbrochen, um eine Reaktion des Atemzentrums zu provozieren, welches im Hirnstamm angesiedelt ist. Zeigt der Patient keine Atembemühungen, gilt der Nachweis für einen Funktionsverlust der entsprechenden Region des Hirnstamms als erbracht. Die absichtliche Herbeiführung eines erhöhten Kohlenstoffdioxidgehalts im Blut (Hyperkapnie) kann eine Reihe von Komplikationen zur Folge haben. Es kann zu einem erhöhten intrakraniellem Druck (die Hauptursache des Hirntod-Syndroms), eine Übersäuerung des Blutes (Azidose) und Blutdruckabfall kommen (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 865). Außerdem werden Pneumothorax, pulmonale Hypertonie, Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt und Herzstillstand als weitere Komplikationen genannt (s.o.). Rainer Beckmann hat diesen Test als medizinisch nicht gerechtfertigt kritisiert, weil hier Patienten, die sich medizinisch in einer kritischen Lage befinden, einem Test unterzogen werden, der für sie selbst keinen Nutzen hat, sich aber negativ auf ihren Zustand auswirken kann (s.o.). Es gibt darüber hinaus Berichte, dass es in einzelnen Fällen noch Stunden nach einem „positiven“ Apnoe-Test zu Atemanstrengungen gekommen sei (s.o.). Auch im Rahmen des World Brain Death Projects“ wird dies anerkannt (s.o). Gleichwohl wird der Apnoe-Test nach wie vor zur Feststellung des „Hirntodes“ durchgeführt.

Als Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome ist eine EEG-Untersuchung (Elektroenzephalographie) laut Richtlinie obligatorisch (S. 4 Punkt 3. der Richtlinie). Bei einem EEG wird die elektrische Aktivität in den äußeren Schichten der Großrinde gemessen (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 865). Die an der Kopfhaut befestigten Elektroden können die elektrischen Hirnströme nur in geringer Tiefe erfassen (s.o). Zu einer Funktionsprüfung des Hirnstamms ist das EEG ungeeignet (s.o). Das EEG belegt nur die Funktionsunfähigkeit der äußeren Großhirnrinde, nicht aber den vom Gesetz geforderten „Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“ (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG) (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 866). Gleichwohl wir in der Richtlinie (Seite 4, Punkt 3.4 der Richtlinie) behauptet, dass die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls durch das EEG nachgewiesen werden kann.
Laut der Richtlinie sei mit der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (irreversibler Hirnfunktionsausfall) naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt (S. 2 der Richtlinie). Eine Überprüfung der Funktionen des Kleinhirns findet aber nicht statt, womit kein Nachweis des gesetzlich vorgeschriebenen Ausfalls der „Gesamtfunktion“ des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms vorgenommen wird und auch nicht „naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen“ festgestellt ist (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 866).

Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG kommt es weiter darauf an, ob ein Funktionsausfall des Gehirns behoben werden kann. Unter Zuhilfenahme des Beatmungsgeräts kann der Funktionsausfall des Gehirns bezogen auf die selbstständige Atmung aber behoben werden, so dass kein „nicht behebbarer“ Funktionsausfall im Sinne des Gesetzes vorliegt (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 866 f.).

Die Richtlinie erfüllt somit in mehreren Punkten nicht die gesetzlichen Vorgaben des § 3 TPG. Gleichwohl hat das Bundesministerium für Gesundheit am 08.07.2022 die Richtlinie in der Fünften Fortschreibung ohne Beanstandungen genehmigt und damit zur Anwendung freigegeben (Beckmann, MedR (2023) 41: S. 863, 868). Gemäß § 16 Abs. 3 S. 1 TPG ist das Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung und Genehmigung der Richtlinie verpflichtet.

Bereits im Jahr 2018 hat das Amtsgericht Würzburg (Beschluss des AG Würzburg vom 13.02.2018 – 25 XVII 208/18) für eine Frau, bei der der „Hirntod“ diagnostiziert worden war, ein Betreuungsverfahren angeordnet. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Betroffene sei „keine Leiche“. Dies sei, so das Gericht, dadurch belegt, dass die Frau eine Schwangerschaft austragen kann. Das Gericht hat somit die Feststellung des „Hirntodes“ nicht als Eintritt des Todes gewertet. Das Amtsgericht Würzburg beanstandete, dass für die in der Richtlinie aufgestellten Behauptung, mit dem „Hirntod“ sei auch der Tod des Menschen festgestellt, eine Begründung fehle. Im Übrigen, so das Gericht, fehle es an einer gesetzlichen Definition des Begriffes „Tod“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie wird die Beschränkung des Prüfumfangs auf Großhirn und Hirnstamm im Rahmen der „Hirntod“-Diagnostik wissenschaftlich begründet und warum fehlt in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, eine entsprechende Begründung?

2. Wie wird der Grenzwert des Apnoe-Test wissenschaftlich begründet und warum fehlt in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, eine entsprechende Begründung?

3. Wie bewertet das Bundesministerium für Gesundheit rechtlich den Umstand, dass im Rahmen der „Hirntod“-Diagnostik laut Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, nicht der „Ausfall der Gesamtfunktion“ gemäß § 3 TPG geprüft wird?

4. Wie bewertet das Bundesministerium für Gesundheit den vom Amtsgericht Würzburg kritisierten Umstand, dass der Begriff „Tod“ gesetzlich nicht geregelt ist und sieht das Bundesministerium für Gesundheit insbesondere mit Blick auf die Entscheidung des Amtsgerichts Würzburg Handlungsbedarf durch den Gesetzgeber? Wenn nein, warum nicht?

5. Wie lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht die behauptete Sicherheit des Irreversibiliätsnachweises trotz Abkürzung der Beobachtungszeit durch apparative Zusatzuntersuchungen begründen und warum fehlt in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, eine entsprechende Begründung?

6. Gibt es wissenschaftliche Studien, die den Grenzwert von 60 mm Hg beim Apnoe-Test (Prüfung des Atemstillstandes, siehe Seite 6, Anmerkung 3, der Richtlinie) als valide ausweisen können? Wenn ja, wo sind diese Studien veröffentlicht? Wenn nein, welchen Erkenntniswert hat die Durchführung des Apnoe-Tests dann und rechtfertigt dies die Gefährdung des Patienten?

7. Ist das Bundesministerium für Gesundheit der Rechtsauffassung, dass die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, alle Vorgaben des TPG, insbesondere die Vorgabe des § 3 TPG, erfüllt? Wenn ja, mit welchen Untersuchungen wird festgestellt, dass ein Gesamtausfall des Kleinhirns vorliegt und warum fehlen hierzu Ausführungen in der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung? Wenn nein, mit welcher Begründung hat das Bundesministerium für Gesundheit die Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Fünfte Fortschreibung, am 08.07.2022 genehmigt?

8. Wie viele Menschen wurden in den Jahren 2022 bis 2023 bundesweit auf Grundlage der Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, Vierte und Fünfte Fortschreibung, für „hirntod“ erklärt und für die Organentnahme freigegeben (Bitte aufschlüsseln nach Bundesland, Alter und Geschlecht der betroffenen Personen und, falls bekannt, welche Organe entnommen worden sind)?